Nachgefragt – Ein Interview mit Claudia Dzengel

Nachgefragt ist eine Interviewreihe mit anderen KalligrafInnen und SchriftkünstlerInnen. Ich finde es selbst sehr inspirierend, mich mit KollegInnen auszutauschen, einen Einblick in ihre Arbeitweise und Motivation zu erhalten.

Auf Claudia Dzengel bin zuerst durch ihre beiden Kalligrafiebücher für Kinder aufmerksam geworden. Die Klarheit und Hochwertigkeit in der Ansprache für Kinder hat mich sehr beeindruckt. Kein vereinfachter crazybunti-Kram, sondern ein ästhetischer Anspruch, kindgerechte Übungen und Freude an Kalligrafie. Als Schülerin von Gottfried Pott ist sie natürlich auch durch eine hohe Schule gegangen (man merkt an dieser Stelle, dass ich viel von Pott halte, was?), die sich in ihren Arbeiten zeigen. Ich mag den Feinsinn, die Sorgfalt und die Poesie darin.

Liebe Claudia, danke für deine ausführlichen Antworten und das nette Gespräch am Telefon, was mit dem Interview spontan einherging.

Claudia Dzengel

Schriftlich

Wie kam Kalligrafie in dein Leben?

Seit meinem Farbdesignstudium in den neunziger Jahren an der HAWK Hildesheim beschäftige ich mich mit Kalligrafie und Schrift im Raum und entdeckte durch Prof. Gottfried Pott meine Liebe zu historischen Schriften. In den ersten Jahren nach dem Studium habe ich mich vor allem mit grafischer Schriftgestaltung befasst. Mein Schwerpunkt lag in der Gestaltung von Leit- und Orientierungssystemen.

Erst durch die Phase des Schreibenlernens meiner eigenen Kinder wurde wieder meine starke Verbindung zur Kalligrafie geweckt. Ich war erstaunt, wie sehr sich Kinder für Schönschrift und das Experimentieren mit der Handschrift begeistern lassen. Daraufhin ist mein erstes Buch erschienen und meine Workshops zum Thema Experimentelle Kalligrafie trafen genau den Nerv der Zeit.

Wenn du nur mit drei deiner Schreibwerkzeuge arbeiten dürftest, welche wären das?

Mein wichtigstes Werkzeug, das mich sowohl bei der Arbeit als auch beim privaten Schreiben immer begleitet, ist der Bleistift (HB oder weicher). Oft skizziere ich meine Texte vor, aber auch Schriften wie Lapidar Antiqua oder Copperplate, wo es auf den unterschiedlichen Druck ankommt, lassen sich wunderbar mit einem weichen Bleistift schreiben.

Von den klassischen Kalligrafie-Werkzeugen gehört der Automatic-Pen zu meinen liebsten Schreibgeräten, da man mit ihm besonders gut präzise Buchstabenformen und scharfkantige Ecken schreiben kann.

Als drittes Werkzeug würde ich die Zahnbürste wählen. Durch das schräge Halten in einem bestimmten Winkel setze ich sowohl mit der Kante der Bürste als auch mit den Borsten auf und erhalte dadurch eine Schrift mit Doppellinie, die dreidimensional wirkt. Diesen Charakter der Buchstaben mag ich sehr. Allerdings benötigt man dafür viel Platz, die Schrift eignet sich also nur für große Formate. Diese fetten Formen oder Buchstaben bilden aber einen guten Kontrast zu ganz feinen dünnen Linien und bieten daher eine gute Grundlage für spannende Schriftprojekte. Auch bei meinen Workshops kommen Zahnbürsten regelmäßig zum Einsatz.

Woher bekommst du deine Ideen/was inspiriert dich?

Oft sind es besondere Aufgabenstellungen für Auftragsarbeiten, die zu neuen Ideen führen. Manchmal sind es Arbeiten anderer Schriftkünstler oder die Auseinandersetzung mit Schaffensprozessen bekannter KalligrafInnen, wie z.B. Hans Joachim Burgert. Zu der Umsetzung seiner Arbeiten in den achtziger/neunziger Jahren hat es 2019 einen Workshop mit Ewan Clayton und Thomas Ingmire in Berlin gegeben. Die Teilnahme an dieser Veranstaltung mit Kalligrafie-KollegInnen aus der ganzen Welt war sehr inspirierend für mich. Manchmal sind es aber auch Musikstücke oder Texte, die mich inspirieren.

Welche Texte und inhaltliche Schwerpunkte finden in deine Arbeit?

Vor einigen Jahren war ich zum Beispiel ganz gefangen von dem Gedichtband der Schriftstellerin Mascha Kaléko „Sei klug und halte dich an Wunder“. Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Satz geschrieben habe. Sowohl den Titel als auch einige der Gedichte aus dem Buch habe ich 2016 in den kalligrafischen Arbeiten für meine Ausstellung im Schriftmuseum in Pettenbach umgesetzt.

Bei meiner letzten Einzelausstellung 2019 in der Galerie Bildraum 01 in Wien, hatten mich im Vorfeld Liedtexte des deutschen Liedermachers Gisbert zu Knyphausen inspiriert. In den entstandenen Arbeiten habe ich vor allem einen Text und den Titel von der CD „Das Licht dieser Welt“ geschrieben. Hier war es beim Arbeiten besonders schön, dass ich gleichzeitig auch die Musik zu dem sehr berührenden Text hören konnte.
In intensiven Schaffensphasen begleiten mich immer besondere Musikstücke oder Musiker. Das ist schon seit dem Studium so. Zum Beispiel habe ich für meine Diplomarbeit 1996 nach der Polonaise Nr. 6 von Frédéric Chopin geschrieben.

Auch in meinen Workshops und Seminaren kommt es immer wieder vor, dass wir nach Musik schreiben. Viele meiner kalligrafischen Werke habe ich nach Musiktiteln benannt.

An welchen Projekten arbeitest du gerade? Was beschäftigt dich?

Gerade arbeite ich mit Texten des Poetry-Slammers Markus Köhle. Auf seine Gedichte bin ich letzten Sommer bei der Sommerakademie Griechenland aufmerksam geworden, da sie teilweise einen unterschwelligen Humor haben, den ich mag.
Und ganz aktuell schreibe ich Zitate von der Schriftstellerin Marica Bodrožić. Eher zufällig habe ich einen Beitrag von ihr im Radio gehört, der mich gefesselt hat. Danach habe ich mir Bücher von ihr bestellt (nicht über Amazon!) und nun warte ich auf die passende Gelegenheit, sie zu lesen.

Persönlich

Was bedeutet für dich kleines Glück?

Mir fällt auf, wenn ich über diese Frage nachdenke, dass ich Glücklichsein stark mit Dankbarkeit verbinde. Dieses Gefühl tritt meistens auf, wenn ich besonders entspannt bin, z.B. bei einem Spaziergang in der Natur oder wenn ich eine gute Schreibphase habe. Hierzu wieder ein Beispiel, als ich nach Musik geschrieben habe:

Das Stück heißt „The Melody“ von Francesco Tristano und Carl Craig. Ich hatte damals für mich eine ganz neue Form des Schreibens (ohne Buchstaben) entwickelt. Es war mehr ein rhythmisches Stupfen und Schwingen mit dem Automatic-Pen. Die entstandenen Zeichen haben so gut zur Musik gepasst, es hat sich so rund und stimmig angefühlt, dass ich gespürt habe, das ist es, das bin ich. Solche Momente machen mich glücklich und gleichzeitg erfüllen sie mich mit Dankbarkeit, dass ich das so, in dieser Form erleben darf.

Wie entschleunigst du deinen Alltag?

Ich entspanne und erhole mich am besten draußen in der Natur. Obwohl ich auch gerne in der Stadt lebe, ist es für mich wichtig, viel Zeit im Grünen und auf dem Land zu verbringen. Das hat sicher damit zu tun, dass ich in Norddeutschland in einem kleinen Dorf direkt am Waldrand aufgewachsen bin.

In Wien habe ich das Glück, einen Garten mit Häuschen etwas außerhalb der Stadt zu haben, wohin ich mich immer wieder zurückziehen kann. Die Gartenarbeit erdet mich, außerdem liebe ich es draußen, unter dem Kirschbaum zu sitzen und zu schreiben. Wenn die Sonne scheint, hält mich nichts im Haus. Daher mag ich auch gerne Regentage, dann kann ich mit gutem Gewissen drinnen in meinem Atelier in Wien schreiben. Auch dies ist ein Ort der Entschleunigung für mich. Ebenso wie das Schreiben mit der Hand mich entschleunigt und ich mehr Zeit zum Nachdenken finde. Dazu fällt mir ein schönes Zitat von Marica Bodrožić ein: „Ich schreibe immer erst mit der Hand, immer erst durch den Körper hindurch. Dieses leise sein, mit dem Füller ist ein Teil meines Denkens.“

Führst du ein Skizzenbuch/Tagebuch/Journal?

Schon seit über 30 Jahren habe ich immer ein Büchlein, neben meinem Kalender, in der Tasche. Ich schreibe nicht täglich hinein, aber immer, wenn es etwas aufzuschreiben gibt, was ich nicht vergessen möchte, nehme ich das Büchlein zur Hand. Das können Gedanken, Zitate, oder auch Notizen für meine Workshops sein. Auch meine Einträge in den Kalender sind nach wie vor mit der Hand geschrieben. Anhand meiner Kalender und diverser Büchlein, die ich seit vielen Jahren aufgehoben habe, kann ich mein ganzes Leben Revue passieren lassen. An meiner Handschrift kann ich außerdem sehen, wie es mir zu der jeweiligen Zeit ging.

Perspektivisch

Kalligrafie im 21. Jahrhundert: Wohin entwickelt sie sich? Welche Bedeutung hat sie?

Kalligrafie beinhaltet für mich auch das ausdrucksvolle Schreiben und damit die Handschrift. In meinen LehrerInnenfortbildungen höre ich immer öfter, dass die LehrerInnen die Schrift ihrer SchülerInnen nicht mehr lesen können. Diese Erfahrungen mache ich ebenso in meinen Schul- workshops.

Besonders bei den 14- bis 17-järhrigen stelle ich eine zunehmende Unleserlichkeit fest. Meine persönlichen Umfragen in dieser Altersgruppe haben ergeben, dass ca. 50 % der SchülerInnen im Schulalltag lieber mit der Hand schreiben und die anderen 50% lieber tippen. Schüler bevorzugen durchwegs eher den PC – Schülerinnen die Handschrift. Manche schreiben Hausübungen auch zuerst mit der Hand und tippen sie dann ab.

Wenn ich in den Workshops mit den SchülerInnen schreibe, bin ich immer wieder erstaunt, wie motiviert sie sind, eine „Schönschrift“, wie wir sie gerade zum Beispiel vom Brush-Lettering kennen, lernen zu wollen. Egal ob männlich oder weiblich, fast alle möchten diese Schrift können. Daher bietet gerade die Kalligrafie eine gute Möglichkeit die feinmotorischen Fähigkeiten zu fördern und wieder mehr Freude am Schreiben zu entwickeln. Neben Federn, Gänsekielen und Zahnbürsten wird in Zukunft vermutlich auch das Schreiben/Zeichnen auf digitalen Oberflächen dazukommen.

Ich bin der Meinung, dass die Handschrift ein Teil von uns ist und gepflegt werden sollte. Sie
ist Ausdruck unserer Persönlichkeit und genauso individuell wie unsere Art uns zu bewegen, zu sprechen, zu tanzen oder zu singen. Außerdem ist es erwiesen, dass das handschriftliche Schrei- ben den Lernprozess untersützt. Ich denke mit Zunahme der schulischen Digitalisierung wird die Herausforderung sein, Analoges und Digitales sinnvoll zu verbinden.

Website | claudia-dzengel.com
Instagram | claudiadzengel
Facebook | Claudia Dzengel

Bildrechte: Claudia Dzengel, Eva Kelety (Portrait), Hape (Atelierraum)

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