Nachgefragt – Ein Interview mit Sigrid Artmann

Nachgefragt ist eine Interviewreihe mit anderen KalligrafInnen. Ich finde es selbst sehr inspirierend, mich mit KollegInnen auszutauschen, einen Einblick in ihre Arbeitweise und Motivation zu erhalten.

Den Anfang macht Sigrid Artmann. Ich habe sie in einem Kurs von Torsten Kolle in Freising kennengelernt. Das erste, was mir an ihr auffiel (nach den tollen Haaren), waren die beschriebenen Doc Martens. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass ich schon ein Buch von ihr* im Regal stehen hatte. Ich gebe zu, ich habs nicht so mit Namen. Sigrids Arbeit trifft genau meinen Geschmack. Die richtige Mischung aus Kunst, Experiementierfreude, Spieltrieb und Handwerk. Insgeheim beneide ich sie ein bisschen für den Mut, die pure Lust am Gestalten und das Wilde. Aber das bleibt unter uns!

Liebe Sigrid, ich freue mich sehr, dass du dir Zeit genommen hast, die Fragen zu beantworten.

Sigrid Artmann

 

Kalligrafisch

Wie kam Kalligrafie in dein Leben?

Der Füller von Peter – ein Freund schenkte mir einen Kalligrafie Füller und damit ging es los. Plötzlich hielt ich die Welt der Kalligrafie in meinen kleinen Händen. Eine Tür in eine neue Dimension öffnete sich damals (1998) für mich.

Was bedeutet Kalligrafie für dich?

Einerseits ist es die Form | Kalligrafie tradiert und normgebend oder aus sich selbst heraustretend – rhythmisierend, formverliebt und provokant? Ich frage mich sehr oft: Wo fängt Kalligrafie an und wo geht sie an die Grenzen ihrer Bestimmung?
Andererseits ist es der Inhalt | Das Wort besitzt Macht; kann beschreiben, kommentieren, klassifizieren und negieren… JA, das Wort kann manipulieren.

Wenn du nur mit drei deiner Schreibwerkszeuge arbeiten dürftest, welche wären das?

3…??? Mir reicht ein Bleistift und Spitzer – sonst nix!

Welche Texte und inhaltliche Schwerpunkte finden in deine Arbeit?

Mein CREDO lautet SAPERE AUDE … das ist ein lateinisches Sprichwort und bedeutet in etwa: Wage es, weise zu sein! Meist wird es in der Interpretation Immanuel Kants zitiert, der es 1784 zum Leitspruch der Aufklärung erklärte: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“
Seit ich den Aufsatz Kants studiert habe, lässt mich der Inhalt nicht mehr los, er übt eine große Faszination auf mich aus. Denn bei genauerer Betrachtung geht es um weitaus mehr, als „nur“ darum, seinen eigenen Verstand einzusetzen. Es geht darum, hinter die Fassaden zu blicken, zu hinterfragen und mutig seine Meinung zu vertreten. Sapere Aude bedeutet für mich die Befreiung aus der Bevormundung der Autoritäten – wenn man so will, Freidenkerin zu sein.

An welchen Projekten arbeitest du gerade? Was beschäftigt dich?

Im Mai 2018 wird es in Ludwigsburg eine große Ausstellung mit dem Titel „Erinnerungen werden Raum“ geben.
Dort zeige ich gemeinsam mit Patrick Leung (Kalligraf aus Hong-Kong) ganz neue Arbeiten. Auch mehrere Installationen werde ich dort umsetzen. Das interessiert mich gerade sehr… aus der Zweidimensionalität der Kalligrafie herauszuwachsen. Dabei beschäftige ich mich eher konzeptionell mit Inhalten als mit der Schönheit unserer Buchstaben. Und so erstelle ich gerade mit einem kleinen Team eine Videoinstallation für diese Ausstellung. Solche neuen Wege beschreiten bedeutet immer wieder seine eigenen Grenzen zu spüren um sie dann zu durchschreiten. Es bleibt spannend… Soviel darf ich schon verraten. Ein Besuch dieser Ausstellung wird sich in jedem Fall lohnen.

Persönlich

Wie entschleunigst du deinen Alltag? Wobei entspannst du dich?

Beim täglichen Gehen und Musik hören bin ich entspannt. Das ist schon zur Sucht für mich geworden.

Welches Buch hat dich als letztes berührt?

Josefine Mutzenbacher – Lebensgeschichte einer Wienerischen Dirne

Führst du ein Skizzenbuch/Tagebuch/Journal?

Eins? Ich habe dutzende manueller clouds (so nenne ich das;-)) Überall liegen Büchlein, Hefte, Zettel in greifbarer Nähe um ja keinen meiner genialen Ideen zu verlieren. Ja im Ernst! Ich schreibe alles auf und das Smartphone beherbergt meine unendliche Wortsammlung.

Wenn ja, was nutzt du dafür, wie sieht es aus und wie bewegst du dich darin?

CHAOTISCH

 

Perspektivisch

Was rätst du jemandem, der mit Kalligrafie anfangen möchte? Wo beginne ich, wie nähere ich mich dem Thema?

Komm doch einfach mal in einen Workshop zu mir ;-))

Kalligrafie im 21. Jahrhundert: Wohin entwickelt sie sich? Welche Bedeutung hat sie?

Die Schrift erlebt heute in künstlerischem Kontext ein neues Zeitalter. Sie wird als zeitgenössische Kunstform verstanden. Neue, junge Künstler widmen sich der Schrift aus unterschiedlichen Perspektiven. Graffiti, Streetart, Konzeptkunst, Lettering, Ornament (um nur einige zu erwähnen) – all das sind wichtige Entwicklungen für die Schrift in der Kunst. Bei all diesen Entwicklungen ist eine tiefe Liebe zur Formensprache und Ästhetik der Schrift erkennbar.

Mit Schrift zu arbeiten, ist ein weltweites Phänomen geworden, das ich in den vielen sozialen Netzen mit Hochachtung und Spannung verfolge. Einerseits wird dem Buchstaben als Ornament gehuldigt, andererseits werden mittels Worte Inhalte thematisiert, es wird Stellung bezogen. Übertragen ins Hier und Jetzt werden die historischen Vorbilder aufgelöst und einer zeitgenössischen „Weltsprache“ zugeführt: Schrift ist KUNST.

Ich bin stolz darauf, ein Teil dieser Entwicklung sein zu können. Auch ich entwickle mich ständig weiter, erfinde meine Ausdrucksformen neu. Durch meine Tätigkeit in Kunstakademien habe ich Gelegenheit, mit den unterschiedlichsten Menschen in den Dialog zu treten. Eine Diskussion über die Schrift und was sie sein darf, ist mir dabei wichtig. So entsteht ständig Neues, das mich inspiriert und vorantreibt. Es bleibt spannend, wohin der Weg für die Schrift führen wird.

Hier findest du Sigrid mit ihren Kursen, Werken und Büchern

Website I Schrift-Kunst-Werkstatt
Instagram I Bluebarella
Youtube I Sigrid Artmann
Facebook I Sigrid Artmann
Bücher I SchreibART, Kalligrafische Schrift-Experimente* und Artitüden, was du direkt bei Sigrid bestellen kannst

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2 Kommentare zu „Nachgefragt – Ein Interview mit Sigrid Artmann“

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