gelesen: Kintsugi

Meistens sind es Ratgeber, Koch-, Sach- oder Kreativbücher, die ich mir aus der Bibliothek ausleihe. Selten Romane. Weil ich immer viel zu lange brauche, sie zu lesen. Beim letzten Bibliotheksbesuch stolperte ich über den Roman Kintsugi von Miku Sophie Kühmel

Kintsugi ist der Name für eine japanische Technik, Risse in Keramik durch Gold zu veredeln. Diese Reparatur oder besser eigentlich Kunst wird in den letzten Jahren oft als Symbol für die Risse und Narben und deren Wert in unserem Leben genommen. Schönheit eben nicht nur Perfektion und Glätte bedeutet, sondern auch die Wunden schön und wertvoll sein können.

Weniger um das Kintsugi-Handwerk als um eben solche Risse im Leben geht es auch in dem Buch – Risse in Freundschaften, Beziehungen, Lebenswegen. 

Kintsugi

Aus dem Klappentext: 

Es ist Wochenende. Wir sind in einem Haus an einem spätwinterlichen See, das Licht ist hart, die Luft ist schneidend kalt, der gefrorene Boden knirscht unter unseren Füßen. Gerade sind Reik und Max angekommen, sie feiern ihre Liebe, die nun zwanzig ist. Eingeladen sind nur ihr ältester Freund Tonio und seine Tochter Pega, so alt wie die Beziehung von Max und Reik. Sie planen ein ruhiges Wochenende. Doch ruhig bleibt nur der See. 

Aus Sicht von jeder einzelnen Person werden das feine Familiengefüge, Gedanken und Beziehungen beleuchtet. Durch die verschiedenen Blickwinkel bekommt die Leserin die Ereignisse des Wochenendes mit – das fand ich einen sehr spannenden und einladenden Erzählstil. 

Ich will gar nicht so viel über die Geschichte verraten, sondern mir selbst (und dir) ein paar Notizen hinterlassen, die ich mir gemacht habe aus den Gedanken von Max. Max ist Künstler. Im Buch sinniert er über Kreativität als Selbstermächtigung. Je mehr ich über meine eigene Arbeit nachdenke, desto tiefer komme ich zu dem Verständnis, dass es auch mir um Selbstermächtigung, Wirkkraft und Mitmacht geht. Darum, einer Situation nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Egal, was im Aussen passiert, es stehen Wege und Mittel zur Verfügung, in Frieden zu sein.

Aber zurück zu Max.

 

Gegen Zweifel macht einen kein Erfolg immun. (..)

Ich lasse meinen Körper sich bewegen, lausche der Luft in mir nach, das habe ich schon als kleines Kind am liebsten gemocht, beim Malen. Basteln war grausam, gerade entlang einer gestrichelten Linie ausschneiden – wie um alles in der Welt soll das gehen? -, Prickelnadeln und Bastelnieten, mühsam in Pappkartonfiguren gestanzt. So etwas lieben Vorschulpädagogen und Eltern und Großeltern auf ihren Nachttischen, oder wenigstens tun sie so. 

Aber das meditative Potential der Kreativität wird kleinen Kindern leider viel zu selten beigebracht. Alles soll ein konkretes Ziel haben, ein Ergebnis vorzeigbar sein, und an die Fenster, die das schiere Tun, Zeichnen, Malen, Formen in den Köpfen der Kinder aufstoßen kann, glaubt kein Erwachsener, weil sie ihrem Nachwuchs nicht trauen. Da muss man schon etwas in den Händen für halten können.

Auch im Kindergarten soll am Ende immer ein Werk stehen, am besten zwanzig kleine bunte Werke, die an der Pinnwand nebeneinander hängen, alle nach dem gleichen Konzept, die aufgeklebte halbe Walnussschale ist die Sonne, Vögel malt man als rotes V über die Horizontlinie und Schneewittchens Rock ist blau-grün-blau.

Beim Ausmalen über die Linien zu gehen bringt den Kindern keine Lorbeeren, keine Stempel im Heft. Aber jedes Aufsetzen des Stiftes jenseits allem Vorgegebenen trägt einen Funken Selbstermächtigung in sich – und manche Kinder spüren das und malen daneben.

Denn wenn man sich zum ersten Schritt überwinden kann, zum ersten Schlag oder Schnitt oder Pinselstrich, dann funktioniert es oft wie von selbst. Die Überwindung ist der Knackpunkt. Das Anfangen. Viele Ideen entstehen erst danach, der Appetit beim Essen und so weiter. Aber das zu lernen hat eine ganze Weile gedauert. 

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