Das zweite Stichwort für unseren Künstlerpakt in diesem Jahr war “ungezähmt”. Ein Wort, dass mir seit Jahresbeginn immer mal wieder in den Sinn kommt, vielleicht auch wegen des gleichnamigen Buches von Glennon Goyle, was ich mir jetzt in der Bibliothek vorbestellt habe.
Hier folgen ein paar lose Gedanken zu meinem Arbeitsprozess und dem, was mir dabei durch den Kopf gegangen ist.
Ungezähmt, was heisst das eigentlich?
Zahm bezeichnet man Tiere, die in der Umgebung von Menschen zutraulich und ohne Scheu sind. Sie zeigen kein aggressives Verhalten, sind nicht wild und deshalb nicht gefährlich.
Ungezähmt ist also das Gegenteil. Wenn wir das nun als Metapher nutzen und auf Menschen übertragen. Was ist ein ungezähmter Mensch?
Unangepasst, wild, frei, lebendig, unberechenbar, gefährlich. Diese Zuschreibungen haben mich ein bisschen an den Roman “Das Schneemädchen” erinnert, was ich erst kürzlich gelesen habe.
Ich bin der Sturm
Ausserdem fiel mir die vielzitierte Konversation zwischen Schicksal und Krieger ein:
Fate whispers to the warrior, ‘You can not withstand the storm.’
The warrior whispers back,
‘I am the storm.’
Das Schicksal flüstert dem Krieger zu: “Du kannst dem Sturm nicht standhalten”
Der Krieger flüstert zurück: “Ich bin der Sturm”
Vielleicht lag es am Sturm, der draussen tobte, dass ich einen Sturm mit ungezähmt verbinde. Wild. Gefährlich. Unkontrollierbar.
Alles fand ich sehr positiv, ermutigend und erstrebenswert. Ein Befreiungsschlag aus der Angepasstheit, ein Mutmacher gegen das Gefallenwollen, die eigenen alten Muster.
Ablehung und Einsamkeit
Ungezähmt sein macht mir aber auch Angst. Angst vor der eigenen und vor fremder Wildheit. Angst vor Ablehnung, Einsamkeit und nicht dazugehören. Ungezähmt sein ist auch gefährlich in meiner Wahrnehmung. Unangepasste Menschen sind mir unangenehm, weil ich keinen Umgang mit ihnen weiss, keine Referenz in meiner Erfahrungsbibliothek. Sie fordern mich heraus, meine bequeme Gedanken- und Lebenswelt zu verlassen, Stellung zu beziehen, meine eigene Haltung zu hinterfragen oder überhaupt eine zu entwickeln.
Für meine Umsetzung bin ich mit den ersten Assoziationen gegangen. Ich habe mit wilder roter Aquarellfarbe gearbeitet, die ich über das Blatt und den Rahmen fallen lassen habe (aus dem Rahmen fallen, sich nicht einengen lassen). Dazu habe ich einige Worte in einer römischen Majuskel geschrieben. Der Schriftzug “Ich bin der Sturm” fiel mir erst später ein. Den habe ich dann in einer Capitalis Monumentalis hinzugefügt. Unkontrollierte Bleistiftlinien verbinden Schrift und Hintergrund.
Fazit
Das Thema hat mir sehr viel Spaß gemacht. Weil wir unsere Themen wöchentlich vergeben, haben wir immer nur kurze Zeiträume, um uns mit einem Thema auseinanderzusetzen. Gleichzeitig entstehen so eine Fülle an Impulsen, die wir selbst weiter verfolgen und vertiefen können.
Das Thema wirkt auf jeden Fall noch in mir nach. Mit all dem, was es aufgewirbelt und angestossen hat. Ich habe darüber nachgedacht, wann ich zahm geworden bin. Gebändigt, erzogen. Und vor allem: wieviel ungezähmt will ich wieder zurück haben. Welches Risiko kann und will ich eingehen. Wieviel Sturm will ich sein und kann ich ertragen. Und meiner Umwelt zumuten. Denn sich jemanden zumuten, Raum einnehmen, das ist nochmal ein ganz anderer Aspekt.
Was fällt dir zu dem Stichwort “ungezähmt” ein?
Unser erstes Wort für den Künstlerpakt in diesem Jahr war “Stillstand”. Hier kannst du mehr darüber lesen.
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Ach, so vieles!
Der kleine Prinz, der sich mit dem Fuchs darüber unterhält, dass “zähmen” “sich vertraut machen” bedeutet …
aber auch Flüsse, die, solange sie ungezähmt sind, meist friedlich an ihrem Platz bleiben, und erst dann, wenn sie von Baumaßnahmen gezähmt wurden, manchmal ausbrechen müssen.
Stimmt. An den Fuchs aus dem kleinen Prinzen habe ich auch gedacht.
Liebe Ramona!
Bin kurz vor dem Schlafengehen – bin total geflashed von deinem Beitrag – auch das Graphische gefällt mir besonders gut! Danke, sei sehr umarmt, deine Barbara
Danke, liebe Barbara.