Tagebuch – Alltagsgedanken und der Wunsch nach Weltflucht

Nach meiner Rückkehr vom Seminar wurde es hier nach und nach ruhiger. Weniger Abwesenheit und Termine führen auch daheim zu einer entspannteren Stimmung. In mir drin bin ich dennoch recht unausgeglichen. Es ist mir nicht so gut gelungen, mich von Social Media fernzuhalten. Die Stimmung da draussen ist aber nur schlecht zu ertragen. So viel Angst und dünne Nerven, Vorwürfe und Spaltung. Das zieht sich bis in den engen Freundeskreis hinein, was ich sehr schwierig finde. ich reagiere total empfindlich auf Ausgrenzung, nicht ernst genommen werden und sich mir nicht erschliessende Vorwürfe und Maßnahmen. Deshalb bin ich derzeit ziemlich angespannt.

Anfang der Woche hatte ich gleich ein Interview für eine Radiosendung, später einen Termin mit dem Wolf. Den Wolf-Termin am Dienstag in Rosenheim hat dann der Mann übernommen, ich war wieder in der Schule zu meinem Kreativnachmittag. Es ist so schön dort zu sein. Smalltalk im Büro, wenn ich meine Anwesenheitsliste checke, freundliches Grüßen während der Pausenaufsicht, die Kinder, die meinen Namen kennen und mir fröhlich zurufen, wenn sie mich sehen. Im Kurs hatte ich mein neues Weihnachtsbuch dabei, was ich mir neulich im Buchladen gekauft habe. Darin haben wir viele nette und einfach umzusetzende Bastelideen gefunden. Es war eine wirklich schöne Bastelstimmung bis wir zum Bus mussten.

An den Abenden haben wir endlich Zeit, die letzte Staffel Lucifer zu schauen, die ja schon eine Weile draussen ist. Hach, wie tut das gut, in diese Serie zu flüchten, den Humor und die gesellschaftskritischen Spitzen, die Phantasiewelt und die Gesamtästhetik. Das ist genau, was ich gerade brauche. Ein bisschen Ablenkung und Ausbruch aus meinen Gedankenspiralen, Freude und Leichtigkeit. Das Outfit von Maze hat mir besonders gefallen. Ich hätte große Lust, mir auch ein Tutu zu besorgen für mehr Glitzer und Flausch im Leben, hehe. Da fällt mir ein – warum trage ich nicht einfach mein schwarzes Tutu-Kleid über meinen Hosen? 

Der November zeigt sich gerade in seinem grausten Grau. Dennoch machen wir wenigstens kleine Spaziergänge. Das tut gut. Nachdem die Stimmung in den letzten Wochen sehr angespannt war, habe ich das Gefühl, dass wir wieder zueinander finden. Am Mittwoch war schulfrei wegen des Buß- und Bet-Tages. Da saßen wir sogar mal wieder alle zum Mittagessen gemeinsam am Tisch.

Empfehlung: Die Tochter hat von Edeka die Eis-Zimtsterne mit Apfelsorbet-Füllung entdeckt. Sehr lecker (aber nicht vegan).

Die Tage waren noch mit einigen Telefonaten und Zooms gefüllt, die mir sehr gut taten. Zum einen, wie schön es ist, sich mit jemandem auszutauschen, andere Blickwinkel zu bekommen. Zum anderen, zu begleiten und allein durch den Austausch und die Fragen jemanden wachsen und an Klarheit gewinnen sehen. Ich habe ja lange gehadert, ob ich dieses Begleitungs-Angebot mache. So ohne therapeutische oder Coaching Ausbildung. Ich merke aber, dass gerade das reicht, was und wie ich bin. Es geht ja nicht um Therapie oder Coaching, sondern darum, mit jemanden ein Stück Weg für eine Weile mitzugehen, ein gegenüber zu sein. Das geniesse ich bei meinen eigenen Wegbegleiter:innen auch, in der Therapie, im Coaching und Fitnesscoaching.

Mit der Angst leben

Wie eingangs schon angedeutet, bin ich angespannt. Wie viele Menschen da draussen habe ich Angst. Angst vor Corona, Angst vor der Impfung, Angst vor dem, was gerade mit unserer Gesellschaft passiert. Aber Angst ist bekanntlich kein guter Ratgeber. Angst macht eng, verhärtet und spaltet. Es kostet mich viel Energie, mit der Angst zu sein, gelegentlich gegen sie anzukommen, sie anzunehmen und zu akzeptieren, mich zu regulieren und stabil zu bleiben. Ein großes Thema, schon seit ein paar Jahren.

Aus dieser Angst heraus bin ich noch immer ungeimpft. Nicht, weil ich nicht will. Ich bin keine Impfgegnerin. Sondern weil ich einfach Angst habe. Eine unbestimmte, lauernde Angst vor allen medizinischen Themen. Es fällt mir schwer, mich um meine Vorsorgeuntersuchungen zu kümmern. Ein Arztbesuch ist für mich eine große Überwindung und viel innerer Stress. Wenn ich Nasenbluten habe oder sich etwas komisch anfühlt, dann stresst mich das. Je nach Grundstabilität gerate ich in Panik (=körperliche Reaktionen). Das ist schon viel besser geworden, und ich habe einen guten Umgang damit gefunden. Aber das Eis ist dünn, noch dünner, wenn andere Themen auf dieses Thema oben drauf kommen. Mir helfen keine Aussagen, dass ich mit einer Impfung auch andere schütze und für die Gemeinschaft sorge. Das setzt mich eher noch unter Druck. Ich wusste nicht mal, ob ich eine Stammzellenspende für meinen eigenen Bruder geschafft hätte (ich bin soo dankbar, dass es dazu nicht kommen musste). Das hat mich sehr in Gewissenskonflikte gebracht. Ebenso die derzeitige Impfthematik. Ich will nicht egoistisch oder unsozial sein.


Bin ich egoistisch, weil ich Angst habe?

Wenn ich nun die allgemeine Diskussion um Ungeimpfte miterlebe, dann trifft mich das. Weil ich will ja. Aber mit reinem Willen richte ich gegen Angst nichts aus. So funktioniert das nicht. Es trifft mich dann, wenn ungeimpfte Menschen pauschal als egoistisch, rücksichtslos und nicht am Gemeinwohl interessiert dargestellt werden. Ja, es gibt sie bestimmt. Die Schreihälse, Verweigerer:innen und Verleugner:innen. Ich selber schätze mich so nicht ein. Ich gehe kaum unter Menschen, halte Abstand, trage Maske, halte mich an Hygieneempfehlungen und teste mich regelmässig. Ich bin vorsichtig und rücksichtsvoll. Ich habe Angst. Angst zu erkranken, Angst andere anzustecken, Angst mich impfen zu lassen.

Also tobt jeden Tag in mir drin ein Abchecken: “Hallo Angst. Wie geht es dir heute. Bin ich heute bereit, mich impfen zu lassen? Traue ich mich heute unter Menschen, die vielleicht zu 70% geimpft sind, aber deswegen denken, sie sind nicht mehr Überträger des Virus und sich entsprechend verhalten?” 

Es ist schwierig. Die Virologen sagen, dass Geimpfte das Virus genau so übertragen wie Ungeimpfte, nur mit dem Unterschied, dass die Virenlast schneller sinkt und der Verlauf weniger pathogen ist. Ich fühle mich also nicht sicher. Ungeimpfte wie Geimpfte, tragen durch ihr Verhalten dazu bei, ob und wie sich das Virus ausbreitet. Daher verstehe ich nicht, warum Ungeimpfte Menschen mittlerweile von der Gesellschaft ausgeschlossen werden (2G), Geimpfte, ebenso ansteckende Menschen, aber ungetestet überall sein dürfen und so tun, als hätten sie, weil sie ja geimpft sind, keinen Anteil an der Pandemie. (Jetzt bin ich diejenige, die pauschalisiert. Ich kenne natürlich auch viele Menschen, die sehr rücksichtsvoll sind.). Ich verstehe wohl daran den Schutzaspekt: Ungeimpfte sollen sich nicht anstecken, weil die Kliniken voll sind. Die Ungleichbehandlung bzw. Einschränkung der Freiheit/Grundrechte erscheint mir dennoch nicht schlüssig. Aber vielleicht erklärt es mir jemand


Strafe oder Kontakt und Vertrauen?

Druck und Sanktionen helfen mir nicht in meiner Angst. Ebensowenig Vorwürfe und Ausgrenzung. Passiert ja direkt schon mal im eigenen Freundeskreis. Ist ein bisschen wie Elternsein. Komme ich mit Strafen weiter oder mit Kontakt und Vertrauen? Was ich auch erlebe: Wenn Verbote erlassen werden, dann werden die Menschen kreativ, sich Wege zu suchen, diese zu umgehen. Wird also am Ende nicht bezwecken, was es bezwecken soll und nicht die erreichen, die es erreichen soll. Führt eher zu einem Vertrauensverlust.

Weil ich aber hier keinen Corona-Beitrag schreiben will, komme ich auch gleich wieder zum Ende. Das sind nur ein paar in den Raum geworfene Fragen, die sich mir stellen und Beobachtungen, die ich gemacht habe. Das ganze Thema hat natürlich noch viele andere Aspekte. Ich sehe die Situation der Krankenhäuser, die Überlastung, die Sorgen und Ängste. Das macht es nicht leichter, für mich Orientierung und einen Umgang zu finden. Mich stört weniger, dass ich gerade da draussen nicht viel tun darf (keine Bibliothek, kein Posaunenchor, kein Schwimmbad mit den Kindern, kein Kino/Essen/Aktivitäten mit den Kindern), sondern welche Spaltung es mit sich bringt. 

Also schaue ich, wie ich mich stabil halten kann: Spazieren gehen, Social Media meiden, gut Essen und Schlafen, Sensory Awarenes, mein Immunsystem stärken, Freude in mein Leben lassen und genau darauf achten, wen oder was ich zu meiner Tür hineinlasse

Ich bin jedenfalls froh, dass ich gestern schöne Gespräche hatte und beim Sensory Awareness war und mein Gleichgewicht zurück habe. Für eine Weile.

Noch ein paar  Zahlen und Texte, die mir gerade helfen, Dinge und meine Angst einzuordnen oder mir helfen zu entscheiden, welchen Wolf ich füttern will.

Liebe zeigen in allem, was wir tun

Ich habe im aktuellen Buch von David Steindl-Rast „Orientierung finden“ einen schönen Abschnitt zur Nächsten- (und Feindes)liebe gelesen, den ich sehr passend für die aktuelle Zeit finde:

“Liebe in all ihren authentischen Formen ist “das gelebte Ja zur Zugehörigkeit”. “Unsere Rolle gut zu spielen”, heißt also, durch alles, was wir im leben tun, Liebe auszudrücken.”

„Meine Liebe wird sich daran zeigen, dass ich zwar alles tue, um ihren Bemühungen entgegenzuwirken und es ihnen unmöglich zu machen, Schaden anzurichten, ihnen aber gleichzeitig den Respekt erweise, der jedem Menschen gebührt, uns sie so behandle, wie ich selbst behandelt werden möchte, wenn unsre Rollen vertauscht wären. Inmitten meiner tatkräftigen Opposition darf ich niemals vergessen, dass das Selbst meiner Feinde mein Selbst ist.“

Hat dir der Beitrag gefallen? Wie StrassenkünstlerInnen der Hut, steht hier im Blog eine virtuelle Teekasse. Wenn du magst, kannst du mir einen Tee ausgeben. Oder Farben und Papier. Danke für die Wertschätzung <3

7 Kommentare zu „Tagebuch – Alltagsgedanken und der Wunsch nach Weltflucht“

  1. Liebe Ramona, ich finde deinen Einblick in deine persönliche Situation sehr interessant und es zeigt, dass es nicht nur schwarz und weiß gibt.
    Liebe Grüße
    Tany

  2. …kenn ich genauso….mit Arztbesuchen und innerem Streß….ich hab mich nach langem Ringen impfen lassen….hat mich aber Riesenängste und viel Streß gekostet …den in meiner Umgebung aber nie jemand nachvollziehen kann…..drum bin ich Dir so dankbar dass Du so offen darüber schreibst….wie eine Schwester:) im Geiste ….und ich merke ich bin da nicht allein…..es gibt noch andere die an dieser Stelle innere Kämpfe austragen….
    Ganz liebe Grüße Claudia

  3. Liebe Ramona, mir geht es ähnlich wie dir und ich kann deine Punkte gut nachvollziehen. Ich bin auch ungeimpft und nicht genesen, auch wenn ich in meinem Inneren spüre, dass ich wohl schon eine Teilimmunität aufgebaut habe (ich arbeitete vor einem Jahr als Ärztin auf der Covid-Station und die letzten Monate auch auf der Notfallstation). Ich spüre auch diesen Druck und spüre diese Unsicherheit – gerade im beruflichen Bereich, wo ich in einem grossen Spital nächstes Jahr beginnen werde aber nicht sicher bin, ob die mich dann so ungeimpft nehmen werden. Der ganze Impfdruck kann ich aus medizinischen Gründen nicht nachvolliehen, da habe ich zu viele Impfnebenwirkungen auf der Notfallstation bei Jungen und sehr Gesunden und erstaunlich milde Verläufe auf der Covid-Station auch bei sehr alten und multimorbiden Patienten gesehen. Für mich ist das Ziel, dass jeder Mensch die Chance hat, bei der Entscheid für oder gegen Impfung auf sein Herzen zu hören. Ich bin nicht gegen die Impfung, bei vielen Menschen macht die absolut Sinn. Aber als individuelle Entscheidung (da die Geimpften zu einem ähnlich hohen Prozentzahl auch Übertrager sind, zählt das “Schutz der anderen” Argument für mich nicht). Die Mehrzahl der Ungeimpften, die ich kenne, sind sehr gesund, tragen Eigenverantwortung für ihre Gesundheit. Erstaunlich, dass diese Gruppe, welche in meinen Augen Vorbildcharakter hat, diskriminiert wird. Erstaunlich ist noch vieles, gell. Für mich selber erlebe ich die Situation als insgesamt sehr positiv, da es eine Chance ist, all die bestehenden negativen Glaubenssätze (Ausgrenzung, Auffallen, Ungerechtigkeit,..) Schritt für Schritt aufzulösen und immer mehr in’s Vertrauen zu kommen. Meine Strategie ist Selbstmitgefühl und ein offenes Herz, auch für alle Andersdenkenden. Schlussendlich ist Liebe ja einfach die grösste Kraft. Ich schicke dir und alle deinen LeserInnen in diesem Sinne viel Liebe und Zuversicht.

  4. Liebe Ramona, du hast ja schon mehrmals erwähnt, dass du nicht geimpft bist, was ich in der aufgeheizten Stimmung sowieso schon mutig finde. Deine Hintergründe zu lesen, fand ich horizonterweiternd, weil ich hier tatsächlich sehr zu der Gruppe derer gehöre, die für rigorose Einschränkungen bei Ungeimpften sind. Ich kann aber verstehen, dass Angst hier einfach eine Größe ist, die erstmal nicht mitgedacht wird. Zu den Abwägungen und der Problematik in diesem Herbst fand ich diesen Artikel recht erhellend: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/die-impfluecke-muss-schnell-geschlossen-werden-17620911.html?GEPC=s3&premium=0x22177d3d16f40438ac2d2fc3dc37b750. Der Titel klingt zwar sehr einseitig, aber es wird durchaus erklärt, warum auch Geimpfte aktuell erkranken. Ich glaube, meine Ängste bezüglich der Entscheidung wären einfach sehr unterschiedlich groß: Die Impfung hat ja wirklich kaum nennenswerte Nebenwirkungen gezeigt, trotz mittlerweile millionenfacher Verabreichung, die Krankheit aber viel häufiger starke Verläufe, die dann auch intensive medizinische Eingriffe verlangen – wovor ich richtig Angst habe bzw. hätte. Sich von Menschen fernzuhalten geht ja für dich, aber bei zwei Schulkindern im Haus ist die Brücke immer da. Mehr möchte ich dazu gar nicht schreiben, weil du ja erwähnt hast, wie schwierig du die Abwägung findest. Ich hoffe einfach, dass wir aus dieser belastenden Lage schneller heraus kommen, als ich das zurzeit befürchte. LG Maren

  5. Liebe Ramona, ich habe mich aus praktischen Erwägungen heraus impfen lassen, und ich möchte Dir und allen Ungeimpften sagen, dass es mir von Herzen weh tut, wie die Politik Druck aufbaut und wirklich die niedrigsten Instinkte der Leute kitzelt, die nun endlich einen Gegner haben, an dem sie sich ungestraft abarbeiten dürfen. Es tut mir von Herzen weh, dass Ihr und dass wir als Gesamtgesellschaft das so erleben müssen. Ich hätte mir im Traum nicht vorstellen können, dass Menschen sich durch Angstmache so leicht manipulieren lassen. Wahrscheinlich sollten wir alle eine Pause bei dem, was wir tun, einlegen, und eine Zeit lang trauern: um all das, was wir uns nehmen ließen, und zwar nicht von COVID-19, sondern von den Manager/innen der Pandemie.

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