Auf den Spuren der Heiligen Hildegard

Letztes und auch dieses Jahr war ich in der Nähe von Bingen, wo die Heilige Hildegard wirkte und lebte. Ganz klar, dass es dort nun zahlreiche Pilgerwege, Klostergärten und Orte gibt, die davon erzählen. Es hat sich trotz der touristischen Allgegenwart des Themas sehr besonders angefühlt, den Spuren von Hildegard zu folgen, einige Wenige Einblicke in ihr Leben zu erhalten und ihre Worte zu lesen: von Naturbeobachtungen, Kräuterkunde und Visionen. In meiner Urlaubspost habe ich dir ja schon von unserem Ausflug nach Bingen auf den Rochusberg geschrieben, heute nehme ich dich auf einen kleinen virtuellen Ausflug zu einem ganz besonderen Ort,  zur Klosterruine Disbodenberg. 

Die Klosterruine Disibodenberg

Ein halbes Stündchen fuhren wir mit dem Auto aus Bad Kreuznach raus, um an diesem verzauberten Ort zu landen. Die Klosterruine ist Pilgerstätte und Teil des Hildegard-von-Bingen-Pilgerwanderweges und des Sternenweges. Wir bahnten uns den Weg zur Ruine von hinten. Es gibt auch einen offiziellen Parkplatz mit kleinem Café und Museum. Dem Weg der Stille folgend, lasen wir uns durch die am Wegrand stehenden Psalmen und passenden Zitate von Hildegard.

Die ganze Natur soll dem Menschen zur Verfügung stehen, auf dass er mit ihr wirke, weil ja der Mensch ohne sie weder leben noch bestehen kann.

Hildegard von Bingen

Das Kloster Disibodenberg war Hildegards erste Wirkstätte bevor sie später nach Bingen ging. 1112 bezog sie gemeinsam mit ihrer Lehrerin Jutta von Sponheim eine Klause am Rande des benediktinischen Männerklosters. Hildegard übernahm 24 Jahre später, nach dem Tod von Jutta, die Leitung des Frauenkonvents. Hier schrieb sie ihre Visionen im „Liber Scivias“ auf. Spätestens 1152 verliess sie Disibodenberg und ging in das Kloster auf dem Rupertsberg im heutigen Bingen. Später übernahmen Zisterzienser das Kloster, veränderten und ergänzten den Bau. Davon sind heute noch die Ruinen zu sehen: das Abteigebäude und das Hospiz.

Lebendige Schriftgeschichte

Nach Hildegards Weggang verlor das Kloster an Ansehen und ist heute nur noch eine Ruine, aber ein wirklich wunderschöner Ort.

Wir haben einen schönen Vormittag dort verbracht, gepicknickt, Gespräche geführt und die großen Inschriften in den Steinplatten bewundert. Hildegard von Bingen lebte von 1098 – 1179, die Zeit des Mittelalters. In dieser Zeit begann auch die allmähliche “Gotisierung” der Schriften. Gitterartig wie ein Gewebe (daher kommt auch der Name) wurden nun Bücher und Schriftstücke in den Klöstern geschrieben. Die Textura ist eine der bekanntesten gotischen Schriften. Später hielt sie sogar Einzug in den Buchdruck und wurde Vorlage für die beweglichen Lettern von Gutenberg, mit der die ersten Bibeln dann gedruckt werden konnten. Heute gibt es noch immer schönste kalligrafische Möglichkeiten mit dieser gotischen Eleganz.

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Ich konnte nicht anders und übertrug ein paar Buchstaben der Steinplatten per Frottage in mein Notizbuch. Als Ergänzung holte ich mir noch einen Pilgerstempel am Museum ab. Ich fand den Ort ganz zauberhaft. Das weitläufige Gelände strahlt eine ganz besondere Energie aus. Es fühlt sich an, als würde man in eine andere Zeit fallen. 

O Mensch, schau dir den Menschen an: Er hat Himmel und Erde und die ganze übrige Kreatur in sich selber! In ihm ist alles verborgen schon vorhanden. Gott hat den Menschen nach dem Bauwerk des Weltgefüges, nach dem ganzen Kosmos gebildet. O wie herrlich ist die Gottheit, welche, indem sie schafft und wirkt, ihre eigene Wirklichkeit offenbart..

Hildegard von Bingen

Hildegard von Bingen

1098 kommt Hildegard als zehntes Kind der Edelfreien Hildebert und Mechthild von Bermersheim in Rheinhessen südlich des Mainz zur Welt. Vielleicht wollten die Eltern den Zehnten, ihr zehntes Kind, der Kirche übergeben. So kommt Hildegard in die Obhut von der Klausnerin (Einsiedlerin, Bewohnerin einer Klause) Jutta von Sponheim, die sich dem Benediktinerkloster auf dem Disibodenberg angeschlossen hatte. Jutta von Sponheim und der Mönch Vollmar bilden Hildegard aus mit allem, was man vom Klosterleben so wissen und können muss: Psalmensingen, Bibelkunde, Latein, Ackerbau und Naturwissenschaften.

Hildegard von Bingen ist vor allem für ihre Heilpflanzen-Kenntnisse bekannt. Sie war jedoch eine Universalgelehrte: Theologin, Komponistin, Mahnerin, Ratgeberin und Visionärin. Sie gilt im Mittelalter als erste Vertreterin der deutschen Mystik. Bereits als Kind hatte sie Visionen, in denen sie Gott sah und erlebte. Nach ersten Zweifeln und Misstrauen ihrer eigenen Innenschau gegenüber, schrieb sie dann doch an ihrer Visionsschrift “Scivias” (“Wisse die Wege”). Sie hörte deutlich den Befehl Gottes: “Schreibe, was du siehst.

Da kam ein feuriges Licht mit Blitzesleuchten vom offenen Himmel hernieder. Es durchströmte mein Gehirn und durchglühte mir Herz und Brust gleich einer Flamme, die jedoch nicht brannte, sondern wärmte, wie die Sonne den Gegenstand erwärmt, auf den sie ihre Strahlen legt. 

Hildegard von Bingen

Ihre Lehrerin Jutta stirbt im Jahre 1136, Hildegard wird Magistra und Mutter der auf dem Disibodenberg lebenden Frauen. Weil sie sich irgendwann nicht mehr wohl fühlt, zieht sie 1150 mit 20 Nonnen gegen den Widerstand der Mönchen in ihr eigenes Kloster auf den Rupertsberg, wo sie guten Zulauf bekommt. Neben ihrer Arbeit als Äbtissin schreibt sie an weiteren Visionsschriften “Liber Vitae Meritorum” (“Das Buch der Lebensverdienste”) und “Liber Divinorum Operum” (“Das Buch der göttlichen Werke” oder “Welt und Mensch”)

Aus ihren Schriften geht immer wieder hervor, dass der Mensch zwar eine besondere Stellung in der Schöpfung erhalten hat, aber damit gleichzeitig auch eine Verantwortung. Eigentlich ein hochaktuelles Thema, nicht?

Am 17.September 1179 stirbt Hildegard auf dem Rupertsberg. Erst 2012 wird sie heilig gesprochen. 

Quelle: Mystiker. Der innere Weg zu Gott, Hrsg. Anselm grün, Sonntagsblatt Edition

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